Die Gestaltung einer auf die Zukunft ausgerichteten Unterrichts- und Schulstruktur sollte sich an folgenden Prämissen orientieren:Wohin geht die Reise? 

  • Schulisches Lernen und Lehren ist eine Form des institutionalisierten, formalen Lernens und bleibt ganz überwiegend geprägt von der Präsenz-Lehre.

  • Lehr-/Lernprozesse finden ganz überwiegend im sozialen Miteinander der Beteiligten (Lehrer*innen/Schüler*innen/Schüler*innen) statt.

  • Jeder junge Mensch muss die Chance haben, seine individuellen Potenziale zu entfalten. Diese Chance muss die Gesellschaft ihm nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt bieten, sondern immer wieder und unterstützend auf neuen Wegen.

  • Individuelles Fördern und Fordern braucht und nutzt vielfältige Hilfen und Hilfsmittel. Fördern und fordern vollziehen sich individuell auf ganz unterschiedlichen Ebenen und Wegen.

  • Entwicklungs- und Lebenschancen junger Menschen zu fördern, Humankapital als gesellschaftliche Grundlage zu bilden, das sind die vordringlichen Ziele von schulischem Lehren und Lernen im öffentlich finanziertem Unterricht.

  • Dort, wo Begabungen und der Lernwille erkennbar sind, der familiäre Hintergrund aber zur Förderung nicht in der Lage ist, muss ein schulisches Angebot helfend bereitstehen und kompensatorisch wirken.

  • Lernen und Lehren sind lebensbegleitende Prozesse, die nur teilweise an Ort und Zeit und Institutionen gebunden sind. Deshalb hat das schulische Lehren und Lernen eine Schlüsselrolle bei der Ausprägung von Lernhaltungen. Die Institution Schule muss auch auf das Lernen ohne und außerhalb der Schule vorbereiten.

  • Schulische Angebote für Lernen und Lehren müssen vielformatig, vielfältig und  flexibel gestaltet und gestaltbar sein und verschiedene Zeitformate der Bildungsinstitutionen unterstützen (Halbtagsschule, Ganztagsschule, Halbtagsschule plus zusätzlicher Wahlangebote).

  • Lehren und Lernen sind keine "vermittelten Austauschprozesse" von Wissen und Können,  bei denen eine Lehrkraft etwas an Lernende weitergibt, sondern Gestaltungs- und Konstruktionsprozesse, die von der Individualität aller Beteiligten geprägt werden. Lehren und Lernen erfolgt nach dem "Angebot-Nutzungsmodell" (Helmke).

  • Individuelle Förderung braucht viele Helfer, viele Werkzeuge und viele Gelegenheiten. 

    Eine Lehrkraft pro Lerngruppe für eine 45 minütige Zeiteinheit, das sind keine brauchbaren "Verrechnungseinheiten" mit der man die gesteckten Ziele erreichen kann. Das ist ein Unterrichtsmodell (Deputat-Modell mit vorgegebenen Zeitrhythmen)), das aus der Zeit stammt, als man sich  an industriellen, kleinschrittigen, sich wiederholenden Produktionsabläufen orientiert hat. 
    (Homogenisiertes Ausgangsmaterial von möglichst gleicher Qualität soll in einem industriell getakteten Prozess eine hohe Produkt-Stückzahl von etwa gleicher Qualität hervorbringen.)

  • Eine neue Rhythmisierung von Unterricht in stärker individualisierten Lern- Lehrprozessen muss gefunden werden.

 

Rhythmisierung ist ein zentraler Begriff im Zusammenhang mit dem geforderten Paradigmenwechsel in der Unterrichtsorganisation.

Wenn Lehren und Lernen von der Individualität der Lerner geprägt sein soll, dann muss die Unterrichtsorganisation so strukturiert sein, dass der individuellen Aufnahmefähigkeit und dem Lerntempo der Schüler Rechnung getragen werden kann. Die bisher üblichen 45-Minuten Studeneinheiten taugen hierzu nicht. 

Die vorhandenen Stundentafeln, die sich ja durchaus bewährt haben, müssen "umgebrochen" werden in andere Zeitfenster, die neue, offenere Unterrichtsmethoden besser unterstützen. 
Ein Umstieg auf 60-Minuten- oder 70-Minuteneinheiten, der zur Zeit in vielen Schulen zu beobachten ist, zeigt, dass ein Umdenken auch hier eingesetzt hat, wenngleich oft aus anderen Motiven gespeist. 
Dieser  erste Ansatzpunkt einer grundlegenden Umstrukturierung ist leicht von jeder Schulkonferenz in Eigenregie umzusetzen und bedarf keiner Verfügung einer Landesbehörde. Leider machen noch zu wenig Schulen von dieser Möglichkeit Gebrauch. 
Sie schrecken wohl auch vor den damit verbundenen Veränderungen der bisherigen Praxis in der gewohnten Unterrichtsgestaltung zurück. Mit einem großen Widerstandswillen in den Lehrerkollegien wäre zu rechnen, denn Routinen zu verändern kosten viel Kraft und Zeit.  Weiterhin träte ein massiver Fortbildungsbedarf zutage, der wiederum Kraft und Zeit kosten würde.

Und noch ein ein weiteres Problem gilt es zu lösen. 


Aus Untersuchungen weiß man, dass die leistungsstärkeren Lerner von offeneren  Unterrichtsformen stärker profitieren als die leistungsschwächeren Lerner. Folglich müsste man verstärkt das Augenmerk auf diejenigen Lerner richten, die mehr Anleitung und Unterstützung im Lernprozess brauchen. 
Um die vorhandenen Begabungen der Lerner individuell  zu erfassen und zu fördern braucht man weiteres Personal. Das müssen keine voll ausgebildeten Lehrkräfte sein, sondern hier könnten Fachkräfte eingesetzt werden, die Lernprozesse der Lerner beobachten, analysieren und dann entsprechend fördern können. 
Die Notwendigkeit, bei der Personalausstattung den Hebel anzusetzen, wird in der öffentlichen Diskussion weitgehend ausgeblendet, weil das Geld dazu fehlt oder man nicht bereit ist, es dafür auszugeben. Die gesamte öffentliche Diskussion dreht sich meist nur um einen geforderten Methodenwechsel. 
Das aber suggeriert der Öffentlichkeit, dass es nur am "mangelnden Willen" der Lehrkräfte liegt, wenn die Schule nicht die Erfolge bringt, die man von ihr erwartet. Damit schiebt man den "Schwarze Peter" den Lehrkräften zu. Sie aber sind einer Schulorganisation ausgeliefert, die ihre Wurzeln im beginnenden Industriezeitalter hat. 

Es muss doch nachdenklich machen, dass alle Schulinspektionen fast in allen Schulen aller Schulformen der Sekundarstufe I die gleichen Problemfelder aufdecken. 

Einem Ertrinkenden hilft der Befehl zum Schwimmen nicht, auch wenn er mehrfach und lautstark an den Ertrinkenden gerichtet wird.

Angesichts dieser Situation droht unsere Schullandschaft in der Bundesrepublik weiter auszufasern und die Chancengleichheit für die nachfolgende Generation noch weiter deutlich zu verschlechtern. 

Rainer Geißler schreibt in seinem Artikel zum Thema "Bildungschancen und soziale Herkunft", das im April 2006 im Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit erschienen ist:

"Auch wenn das mehrgliedrige Schulsystem im öffentlichen Diskurs in Deutschland einer unantastbaren „heiligen Kuh“ gleicht, fordert PISA zu einem erneuten Nachdenken über die Grundstrukturen des deutschen Bildungssystems heraus. Es ist allerdings unrealistisch, mit einer Beseitigung der Mehrgliedrigkeit in absehbarer Zeit zu rechnen. Daher ist es wichtig, wenigstens die Nachteile der äußeren Niveauabstufungen durch die folgenden Maßnahmen zu minimieren:

  •  durch eine größere Durchlässigkeit des hierarchischen Schulsystems „nach oben“, um die sozial selektiven frühen Entscheidungen für die Bildungswege revidierbarer zu machen;
  •  durch ein Zurückfahren der Klassenwiederholungen auf Extremfälle, d.h. durch einen Abbau des Abschiebemechanismus des Sitzenbleibens, der nicht nur sozial selektiv, sondern darüber hinaus auch teuer und wenig effizient ist;
  •  durch einen starken Ausbau der Kultur des Förderns, z.B. einer stärkeren Orientierung von Reformen sowie des Lehrerverhaltens und der Lehrer-Eltern-Kooperation am Prinzip „Fördern statt Auslesen/Abschieben“. Zusätzliche Hilfen für Problemkinder brauchen zusätzliches Personal und kosten Geld. Daher wird eine wirkliche Verstärkung der Kultur des Förderns ohne zusätzliche finanzielle Investitionen in die Bildung kaum möglich sein."

Eltern, vor allem aus der bildungsorientierten Gesellschaftsschicht, fokussieren ihr Interesse auf die Entwicklung und die Entwicklungschancen ihre Kinder, das ist ganz natürlich und auch gut so. Sie werden aus dem gesamten Schulangebot ihrer Region dasjenige heraussuchen, das ihre Kinder aus ihrer Perspektive optimal fördern kann.

Hier liegen die Chancen von Privatschulen, die unabhängig vom Budget der Öffentlichen Hand ihr schulisches Angebot ausgestalten können. Die öffentlichen Schulen fallen dagegen in ihrer Leistung ab und verstärken so die Spaltungen und Unterschiede in der Gesamt-Gesellschaft.

Folgende Rahmenbedingungen sollten eine auf Zukunft ausgerichteten Schul- und Unterrichtsstruktur charakterisieren:

Der gesamte Unterricht ist sehr stark auf die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet, um ihre individuell unterschiedlichen ausgeprägten Potenziale voll zur Entfaltung zu bringen zu können.

Die "Schule" verfügt über ein modernes, nutzungsspezifisches Raumangebot für unterschiedliche methodische Verfahren und eine technische Infrastruktur, in der jede Schülerin, jeder Schüler mit mobilen Online-Geräten Zugang zum Internet und zum Intranet der Schule hat. 

Die Unterrichts-Struktur weist 60-, 70- oder 90-Minuten Unterrichtseinheiten aus, die von periodisch oder episodisch eingestreuten Projektphasen unterbrochen werden. Ein erweitertes pädagogisch ausgebildetes Personal betreut die Lerngruppen ( Schulpsychologe, KindergärtnerInnen, Sozialarbeiter, Lehrkräfte mit der Ausbildung für die Förderschule).

Die Schule bietet den Eltern wahlweise möglicherweise drei Schulstrukturmodelle an:

  • Einmal die Ganztagsform mit Unterricht von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr.
  • Dann die Halbtagsform von 8.00 bis 13.30 Uhr mit einem verpflichtenden Nachmittagsangebot (wegen der verpflichtend vorgeschriebenen Studentafeln in der Sek. I notwendig). 
  • Die Halbtagsform kann optional von den Eltern um Angebote der Schule erweitert werden, die die Schule für die Schüler des Ganztagsbetriebs anbietet. 

So bietet die Schule einer Elternschaft ein breites Spektrum an Ausbildungs-, Erziehungs- und Betreuungsleistung an. 

Allen Lehrerinnen und Lehrern und allen Schülerinnen und Schülern steht mit der gut gefüllten "Digitalen Schultasche" all jene Software zur Verfügung, die in Lehr- /Lern-Szenarien normalerweise gebraucht wird. 
Ein gewisser Teil der regulären Arbeitszeit der Lehrkräfte ist für Fortbildungen fest verplant, die vorwiegend in schulinternen Fortbildungsgruppen nach dem Blended-Learning-Prinzip durchgeführt werden.

Begleitet wird der Unterricht durch die Nutzung einer Lern- /Lehr-Plattform, zu der jedes Mitglied der Schulgemeinde einen eigene Account besitzt. Eltern kann auf Antrag ein Account eingerichtet werden.
Kostenfreie Content-Pools für Lern- und Übungsmaterialien sind für alle am Lehr- und Lernbetrieb Beteiligten der Schule zugänglich.
Lerner verfügen über persönlich verwaltete ePortfolios, um auch Lernerfolge über gewisse Zeiträume zu dokumentieren und für unterschiedliche Nutzergruppen zu publizieren.

 Privatschulen freuen sich! Sehen Sie hierzu einen Bericht von Monitor vom 18.05.20128

 

Die Zahl der Privatschulen in Deutschland wächst, das meldet der Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP). 5.651 private Schulangebote gibt es mittlerweile (Im Jahre: 2019) in Deutschland, knappe neun Prozent mehr als vor drei Jahren. Die Zahl der Privatschüler kletterte auf über 730.000 und dieser Anstieg um etwa zwei Prozent, obwohl bundesweit insgesamt sinkenden Schülerzahlen zu verzeichnen sind.

Sehen Sie sich auch die folgenden Videos und Beiträge, die Prof. Frank Thissen auf seiner Webseite zusammen gestellt hat,  an, darauf möchte ich hier empfehlend hinweisen:

Innovative Schulen

Aber nicht nur im Bildungsbereich zeigen sich Defizite,  es zeigt sich in fast allen Politikfeldern, dass die Bundesrepublik Deutschland notwendige Anpassungen versäumt hat in den vergangenen Jahren.

"Mit der Verabschiedung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda hat sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet, bis 2030 eine hochwertige, inklusive und chancengerechte Bildung für Menschen weltweit und ein Leben lang sicherzustellen. Daran erinnert jedes Jahr am 24. Januar der Internationale Tag der Bildung.

Die UNESCO koordiniert die Umsetzung dieser Globalen Bildungsagenda 2030 im Rahmen der Vereinten Nationen. Als einzige Organisation leistet sie zudem ein weltweites Monitoring über die Fortschritte in der Bildung. Mit ihrem umfassenden Bildungsverständnis, ihren innovativen Bildungskonzepten und ihrem breiten Netzwerk von Partnern in Bildungswissenschaft, -politik und -praxis leistet sie einen einzigartigen Beitrag zur Verbesserung der Bildung weltweit." (Quelle: https://www.unesco.de/bildung/agenda-bildung-2030)

Agenda Bildung 2030 – Das Globale Nachhaltigkeitsziel 4:

 

Globale Entwicklungsziele:

Der Klimaschutz war das beherrschende Thema im Jahre 2019. Dabei ist der Klimaschutz nur eines jener globalen Probleme, die unsere Welt dem Abgrund entgegen treibt.