Der Unterricht im deutschen Bildungssystem ist weitgehend am sogenannten Homogenitätsparadigma (Gogolin/Neumann, 1997) ausgerichtet:

Um möglichst homogene Gruppen zu schaffen, werden Schülerinnen und Schüler sortiert, nach Schularten, Schulstufen, nach Alter, zuweilen nach Geschlecht oder im Rahmen integrierter Systeme in Niveaustufen. 
Heute wissen wir, dass Lernerfolge beim Lernen wesentlich durch die Individualität und Konstruktionsfähigkeit des Lerners geprägt werden.

Dieses Verständnis zwingt uns, die uns vertraute Organisationsform der Institution Schule grundlegend zu ändern. Die bis heute weit verbreitete Organisationsform der Halbtagsschule, nach dem Fachlehrerprinzip strukturiert, ist auf "Vermittlung von Wissen" ausgerichtet: Eine Lehrkraft "vermittelt" ihr vorher erworbenes Wissen (Studium)  zu einem vereinbarten Zeitpunkt (Unterrichtszeit) an eine möglichst homogene Lerngruppe (altersgleiche Gliederung), um im inhaltlichen und methodischen Gleichschritt zu einem nahezu gleichen Lernerfolg der Lerngruppenmitglieder zu gelangen. Dieses Prinzip trägt nicht mehr! 
Anpassungen an neue Erkenntnis und an die veränderten Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft sind dringend notwendig.

Schüler müssen lernen Lern- und Denkvorgänge zu planen, umzusetzen, zu überwachen, gegebenenfalls zu korrigieren und abschließend auszuwerten. Bedeutsam ist die Bereitschaft, sich selbst Ziele zu setzen und aktiv zu werden. Auch der produktive Umgang mit Erfolg und Misserfolg muss gelernt werden, indem sich der Lernende seiner eigenen Möglichkeiten und Grenzen bewusst wird und eine realistische Selbsteinschätzung entwickelt. 
Diese Umbruchsituation, in der sich unsere Bildungsinstitutionen jetzt befinden, muss aber zugleich auch eine Chance begriffen werden.

Neue Wege müssen in der Unterrichts- und Schulentwicklung eingeschlagen werden. 

Die Schulen in Deutschland müssen sich deutlicher als zuvor bewusst sein, dass Schüler als aktiv Lernende stärker eigenverantwortlich in den Lehr- und Lernprozess einbezogen werden müssen. Die Schule ist als Organisation gefordert, stärker die Perspektive der Lernenden zu berücksichtigen und ihnen entsprechende Anregungen zu geben sowie für die notwendigen Entwicklungsbedingungen zu sorgen.

Denn: Die Schule legt die Grundlagen für das weitere Lernen!

Durch Unterrichts- und Schulentwicklung muss der notwendig gewordene Paradigmenwechsel der Organisationsform "Schule" vollzogen werden.

Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Lernstrategien und Lernmethoden im Erwachsenenalter nicht mehr so einfach zu beeinflussen sind (Friedrich, Fischer, Krämer & Mandl, 1985). Deshalb ist es naheliegend, bereits in der Schule dafür zu sorgen, dass die individuell richtigen Lernstrategien und -methoden gelernt werden. Damit befindet sich die Schule aber auch in einer Situation, die  von Larsson (1983) als das „Paradoxon des Unterrichtens“ beschreibt.
Es besteht darin, dass Lehrende einerseits selbstgesteuertes Lernen durchaus als wichtiges Ziel schulischen Lernens akzeptieren, andererseits sehen sie in der täglichen Praxis, dass viele Lernende die Spielräume für selbstgesteuertes Lernen nicht nutzen (können), was die Lehrenden wiederum veranlasst, den Unterricht stark zu strukturieren und für möglichst alle Lernenden gleich zu gestalten. Dies führt dann tendenziell dazu, dass jene Lernenden, die ohnehin Probleme mit der Selbststeuerung haben, diese Probleme auch nicht überwinden, und dass jene, die zur Selbststeuerung in der Lage sind, diese allmählich verlernen, da sie nicht von ihnen gefordert wird.

Nach Weltner (1978) hat sich das System „Schule“ im Zielkonflikt zwischen der Optimierung der Informationsvermittlung in Lehrveranstaltungen und dem Aufbau der Lernkompetenz bisher immer für ersteres entschieden. Wenn selbstgesteuertem Lernen aber der Rang einer Schlüsselqualifikation zugesprochen wird, dann sollten auch verstärkt Anstrengungen unternommen werden, diese Qualifikation systematisch zu entwickeln. In der Schule sollte Lernen nicht bloß geschehen, sondern Lernende sollten am Ende ihrer schulischen Biographie über ein Repertoire an Strategien und Fertigkeiten für das selbstgesteuerte Lernen verfügen, das sie bewusst, aufgaben- und  situationsangemessene einsetzen können (Dubs, 1993). Sie sollten sozusagen Experten für ein lebensbegleitendes Lernen sein.

Führt man sich diesen Sachverhalt vor Augen, dass das individuelle, selbstgesteuerte Lernen Voraussetzung, Methode und Ziel des Unterrichtens ist (Weinert, 1982), so wird klar, dass der Weg nicht einfach ist, den die Schule zu beschreiten hat.

Das Handeln der Schule und der Lehrkräfte im Unterricht findet unter sich ständig verändernden Rahmenbedingungen statt (z.B. gesetzliche Vorgaben), die wiederum größtenteils außerhalb Ihrer Einflussmöglichkeiten der Schule und der Lehrkräfte  liegen. Der natürliche Ansatzpunkt der Schulentwicklung ist also das Handeln der Schule als Organisation und das Handeln der Lehrkräfte im Unterricht.

„Unterrichtsentwicklung ist der Kern der Schulentwicklung und hat zum Ziel, den Unterricht im Interesse der Schülerinnen und Schüler zu verbessern und sie zu eigenverantwortlichem Lernen und Arbeiten zu befähigen.(...)"
Quelle: http://www.schule-und-co.de/dyn/bin/1391-2362-1-druckfassung.pdf



Dazu müssen das Handeln der Akteure, die schulinternen Strukturen und die Arbeitsabläufe in der Schule verändert werden.

 

Die Arbeitszeitregelung ( ausschließliche Bindung an die Zahl der zu unterrichtenden Schulstunden) für Lehrkräfte als Dreh- und Angelpunkt einer gelingenden Schulentwicklung

 Zum Thema siehe auch:

Hier der Link zum Portal:  Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle für Lehrer

 

Interessant hierzu ist das Urteil des Europäische Gerichtshof (EuGH) vom 14. Mai 2019 (C-55/18):

Inhalt des Urteils

Das Gericht stellte fest, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten müssen „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“.

Dafür werden unter anderem zwei Begründungen genannt: die Arbeitgeber sollen dadurch „die erforderlichen Mittel zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer“ bereitstellen und außerdem den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, ihre Rechte und Pflichten auszuüben. Diese unterstützen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, indem sie geeignete Maßnahmen und Vorschläge zum Mitarbeiterschutz unterbreiten.

Dieses EuGH-Urteil enthält viel Sprengkraft, wenn  alle Lehrkräfte und  die Lehrer-Verbände auf die Umsetzung dieses Urteils drängen würden.

 

Unterricht und Unterrichtsqualität

Unterricht, Lehr-/Lern-Formate, was muss man darunter verstehen?

Unterricht oder Lehr-/Lernveranstaltungs-Formate verstehe ich als lerntheoretisch geprägte, ökonomische Umsetzungen des gesellschaftlichen Bildungsauftrages in pädagogisches Handeln. 
Die Umsetzung erfolgt in einem dynamischen System, das die Verteilung von Zuständigkeiten auf organisatorische Einheiten überträgt und die Gestaltung der Handlungsbeziehungen zwischen den Organisationseinheiten regelt, wobei alle System-Komponenten auf die übergeordneten Ziele ausgerichtet sind.

Um diese "sperrige" Beschreibung verständlicher zu machen, soll folgende Darstellung dienen:

 

Anders ausgedrückt kann man sagen: 
Was, wie, wann und wo und wie gelehrt /gelernt wird und unter unter Einatz welcher Lehr-/Lernmittel, hängt von der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung ab. Unterricht oder ein Lehr-/Lernformat allgemein ist eine Organisationsform pädagogischen Handelns, die ihrerseits abhängig ist vom Grad der gesellschaftlichenn Entwicklung.

Hierzu ein Zitat aus: 
Claus J. Tully: Veränderungen des Lernens in modernen digitalen Welten, Kapitel: Lernen als gesellschaftlicher Prozess S. 159 in: MeinWissen – Unser Wissen, Hrsg.: Jens Uhlig, Rita Herwig, Michael Brodowski, LIT-Verlag 2007

 „Neue technische Innovationen, die sich gesellschaftlich durchsetzen, verändern sowohl Form als auch Inhalt des Lernens. Insgesamt können wir deshalb von einem Begriffstripel ausgehen: Gesellschaft – Technik – Lernen. Jede Gesellschaftsform stellt ein einzigartiges Arrangement von sozialen Beziehungen, technischen Artefakten und Lernstoffen dar, wobei keines dieser Elemente wichtiger ist als ein anderes. Techniken sind in diesem Zusammenhang Potenziale, sie offerieren Optionen, die sozial eingefangen und nutzbar gemacht werden müssen. Sie sind nicht die Basis der Gesellschaft, aber Teil von ihr, ebenso wie sie als Lerngegenstand und Lernmittel Teil des Lernprozesses sind.“ (Bönsch 2000).

Struktur-Komponenten von Lehr-/Lern-Veranstaltungen:

 

 

Unterrichtsqualität

In einem Zeitungsinterview der Zeitschrift ZEIT vom 29. Juli 2005 wurde der Schulforscher Prof. Dr. Andreas Helmke gefragt: " Was ist besser: Frontalunterricht oder Gruppenarbeit, selbstständig lernen oder diszipliniert pauken?"
Professor Helmke antwortete auf diese Frage: "Es gibt nicht den guten Unterricht im Sinne einer bestimmten, durchweg überlegenen Methode." Kein Unterrichtskonzept - weder die "Direkte Instruktion" noch der "Offene Unterricht" können erfolgreiches Lernen sicher gewährleisten.
Als Fazit des Interviews bleibt dem Leser die Erkenntnis, dass die Fachwissenschaft keine Patent-Rezepte für erfolgreichen, gelingenden Unterricht bereitstellen kann.

Was man aber bei empirischen Studien herausgefunden hat ist die Erkenntnis, dass es einige Kriterien gibt, die erfolgreichen Unterricht (aus der Perspektive der Lernenden ) charakterisieren. 

Hilbert Meyer hat in seinem Buch "Was ist guter Unterricht?" zehn Merkmale guten Unterrichts zusammen gestellt.

Zehn Merkmale guten Unterrichts (KRITERIENMIX)
1. Klare Strukturierung des Unterrichts (Prozess-,Ziel- und lnhaltsklarheit: Rollenklarheit, Absprache von Regeln, Ritualen und Freiräumen)
2. Hoher Anteil echter Lernzeit (durch gutes Zeitmanagement, Pünktlichkeit; Auslagerung von Organisationskram; Rhythmisierung des Tagesablaufs)
3. Lernförderliches Klima (durch gegenseitigen Respekt, verlässlich eingehaltene Regeln, Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit und Fürsorge)
4. lnhaltliche Klarheit (durch Verständlichkeit der Aufgabenstellung, Plausibilität des thematischen Gangs, Klarheit und Verbindlichkeit der Ergebnissicherung)
5. Sinnstiftendes Kommunizieren (durch Planungsbeteiligung, Gesprächskultur, Sinnkonferenzen, Lerntagebücher und Schülerfeedback)
6. Methodenvielfalt (Reichtum an lnszenierungstechniken: Vielfalt der Handlungsmuster; Variabilität der Verlaufsformen und Ausbalancierung der methodischen Großformen)
7. lndividuelles Fördern (durch Freiräume, Geduld und Zeit; durch innere Differenzierung und lntegration; durch individuelle Lernstandsanalysen und abgestimmte Förderpläne; besondere Förderung von Schülern aus Risikogruppen)
8. lntelligentes Üben (durch Bewusstmachen von Lernstrategien, passgenaue Übungsaufträge, gezielte Hilfestellungen und ,,übefreundliche" Rahmenbedingungen)
9. Transparente Leistungserwartungen (durch ein an den Richtlinien oder Bildungsstandards orientiertes, dem Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler entsprechendes Lernangebot und zügige förderorientierte Rückmeldungen zum Lernfortschritt)
10. Vorbereitete Umgebung (durch gute Ordnung, funktionale Einrichtung und brauchbares Lernwerkzeug)

Was bedeutet das für die "normalen" Tätigkeiten von Lehrkräften?

Die Kenntnis der oben aufgeführten zehn Merkmale führt aber auch nicht dazu, dass Lehrkräfte durch Anwendung der Kriterien auf jeden Fall erfolgreichen Unterrichts  gestalten.  Alle Faktoren gleichzeitig zu berücksichtigen, das ist unmöglich, zumal sich manche Aspekte gegenseitig ausschließen. Lehrkräfte, die täglich Unterricht planen müssen, sehen sich täglich einer typischen Dilemma-Situation ausgesetzt. Sie müssen in ihrer Planung den angestrebten Lernerfolg vorweg denken, ihn annehmen, können aber nicht sicher sein, dass die Lernenden über den angebotenen Lernweg den Lernerfolg auch erreichen (können). 
Unterricht ist eine  "Inszenierung" von Lerngelegenheiten, bei der man nicht weiß, ob sie auch gelingt.

Planungen nach der "Wenn -Dann- Regel" sind trotzdem notwendig. Ob aber die Planung das gewünschte Ergebnis - nämlich erfolgreiches Lernen bei den Lernenden - hat, das hängt von vielen weiteren Faktoren im konkreten Unterrichtsgeschehen ab. 
Das Rollenverständnis der Lernenden und ihr Rollenhandeln gehen entscheidend in den Lernerfolg ein. 
Hierauf können Lehrkräfte aber nur bedingt Einfluss nehmen. 
Das ist eine psychisch sehr belastende Situation, der sich die meisten Lehrkräfte kaum bewusst sind und ein  "Scheitern"  ihrer Planung für sich als "eigene Unfähigkeit " verbuchen". Ein Prozess, der im Extremfall im Burnout enden kann. Die Zahlen von Burnout-Patienten unter der Lehrerschaft sind erschreckend hoch.

Es zeigt sich, dass bei allen am Lernprozess Beteiligten ein neues Verständnis von Lernen benötigt wird, bei den Lehrenden und bei den Lernenden und bei der begleitenden Dienstaufsicht und beim Schulträger. 

Wissen und Können, das sich bei den Lernenden einstellt, sind das Ergebnis aktiver Bemühungen aller Beteiligten an Lehr- und Lernprozessen, wobei der Lernende selbst die größte Verantwortung für das Gelingen trägt. Lehrende müssen optimale Bedingungen für erfolgreiches Lernen bereitstellen.

 

Unterrichtspartituren als Instrumente der Implementation von Querschnittsaufgaben

Der Ausdruck "Unterrichtspartitur" erweitert den Begriff der schulinternen Curricula um einen strukturellen Aspekt, der einem Darstellungsmuster der Musik entlehnt wurde. Viele verschiedene Instrumente arbeiten in einer Weise zusammen, so dass ein akustisches Gesamtklangbild entsteht.

Unterrichtspartituren sind Kooperations- und Koordinationspläne für die Querschnittsaufgaben einer Schule. 
Sie fixieren schulinterne Absprachen und machen kenntlich,
- welche Unterrichtsfächer 
- in welchen Jahrgangsstufen 
- welche Unterrichtsvorhaben 
- mit welcher Dauer
- und in welchem Rhythmus umsetzen.

Unterrichtspartituren (s.auch Verlinkung zur Bertelsmann-Stiftung) sind Kooperations- und Koordinationspläne für die Arbeit in den einzelnen Jahrgangsstufen einer Schule. Sie dienen in erster Linie dazu, in Jahrgangsplanungen kenntlich zu machen,

  • welche Unterrichts-Vorhaben in welcher Unterrichtszeit vorkommen sollen,
  • welche Vorhaben sich inhaltlich und zeitlich planvoll aufeinander beziehen,
  • in welchem Rhythmus das, was vereinbart wurde vorkommt bzw. wechselt,
  • welche Ziele der Querschnittsaufgaben den Rhythmus des Unterrichtsgeschehens mitbestimmen.

Diese Art der Jahrgangsplanung erleichtert auch die weiter greifenden Ziele:

  • den Unterricht in den Lernbereichen und Fächern zu koordinieren, wo dies aus inhaltlich-thematischen, methodischen, arbeitstechnischen oder organisatorischen Gründen nahe liegt, nämlich im fächerverbindenden / fächerübergreifenden Unterricht,

der dann allerdings auch verbindlich durchzuführen ist.

 

Die Forderungen zum Wandel lauten:
Wissenserwerb - Kompetenzentwicklung – Werteorientierung

In der Wissensgesellschaft sind Bildung und Erziehung der Schlüssel für individuelle  Lebenschancen und ein Motor für die gesellschaftliche Entwicklung. Der enge Zusammenhang zwischen Zukunfts- und Lernfähigkeit in der Wissensgesellschaft verlangt vom Einzelnen die Fähigkeit zu lebensbegleitendem zielgerichtetem und aktiven Lernen. Vorstellungen, dass man in der Schule einen Vorrat an Bildung erwirbt, von dem man sein Leben lang zehren kann, werden abgelöst von Positionen, dass schulische Bildung viel mehr eine solide Wissensgrundlage für ein „lebenslanges Lernen" legen muss, damit die Lernenden von heute auch morgen in der Lage sind, ihr Wissen zu erweitern. Dies fordert eine veränderte Lehr- und Lernkultur.

Lernprozesse selbst müssen stärker zum Gegenstand von Bildung werden. Das Leben in einer offenen, pluralen Gesellschaft fordert zudem die Fähigkeit zum verantworteten Umgang mit Freiheit und zu standpunktbezogener Toleranz auf der Basis der Grund- und Menschenrechte. Dies macht auch Werteorientierung zu einem unverzichtbaren Bestandteil schulischer Arbeit. 
Als Anforderungen an schulische Bildung und Erziehung stehen somit Wissenserwerb, Kompetenzentwicklung und Werteorientierung im Vordergrund. Diese drei Dimensionen durchdringen und bedingen sich wechselseitig und sind wesentliche Komponenten der Persönlichkeitsentwicklung. 
Der Erwerb von anwendungsfähigem Wissen, die Entwicklung von Methodenkompetenz, Lernkompetenz und Sozialkompetenz sowie die Werteorientierung stehen im Mittelpunkt schulischer Bildung und Erziehung.

Die Schule als "lose gekoppeltes System"

Prof. Dr. Kurt Spiess, ein ausgewiesener Experte im Bereich der Organistionsentwicklung charakterisiert lose gekoppelte Systeme wie folgt:

"In lose gekoppelten Systemen gibt es eine starke Differenzierung, Individualisierung und eine grosse Autonomie der Akteure. Kommunikation und Beziehungen in losen Systemen sind oft zufällig, indirekt und meistens auch nicht wichtig. Die Kooperation zwischen den Beteiligten bleibt schwach; Koordination und Kontrolle sind wenig vorhanden und geschehen punktuell.
Lose verbundene Systeme sind heterogen. Es gibt verschiedene Einstellungen und Meinungen, auf was es in der Arbeit ankommt und was wichtig ist. Die Menschen achten auf Unterschiedliches und nehmen Unterschiedliches wahr. Sie reagieren und handeln verschieden und erreichen damit unterschiedliche Ergebnisse. Die konkreten Ziele und  Prioritäten, die Strategien und das Vorgehen im Alltag bleiben individuell."

Lose gekoppelte Systeme sind träge und wegen der losen Verknüpfungen ist es schwierig, einen als notwendig erachteten Wandel zentral zu initiieren und steuern.

In lose gekoppelten Systemen können aber durchaus Entwicklungen der Kernprozesse stattfinden, wenn die Stabilität des ganzen Systems für die handelnden Akteure gewahrt bleibt . Lose gekoppelte Systeme brauchen einen schrittweisen Wandel, stetig und im Kleinen. Veränderungen wachsen in den einzelnen Teilen des Kerngeschäfts der Beteiligten und von unten nach oben. Wandel  geschieht nicht in der Form eines top-down Projektes.

 

"Warum Schulentwicklung so oft scheitert"

Dieter Euler von der Universität St. Gallen beschreibt 2006 in einem Artikel mit dem Titel: "Von der Klage zur Anklage – Schulentwicklung zwischen Erwartung und Ernüchterung" den Ablauf von negativ verlaufenden Schulentwicklungsprozessen in vier typischen Schritten .

  • "Anfangs werden die Ideen mit großen Hoffnungen und Erwartungen aufgenommen und eingeführt, um grundlegende Innovationen auszulösen. Die Erwartungen im Hinblick auf die Schulentwicklung sind häufig in attraktiv klingende Begrifflichkeiten gekleidet, so beispielsweise „Schule als Lernende Organisation“, „Qualitätsorientierte Selbststeuerung“, „Schule als regionales Kompetenzzentrum“ oder schlicht „Selbständige Schule“.
  • In der Folge kommt es häufig zu hastigen Umsetzungsversuchen und Piloterprobungen, die mal an dieser, mal an jener Stellschraube im Faktorengefüge von Schule, Kollegium und Unterricht drehen.
  • Mit der Zeit macht sich eine Ernüchterung breit, weil trotz der großen Kraftanstrengungen keine messbaren Innovationen größerer Reichweite erkennbar werden.
  • Schließlich wandelt sich die anfängliche Hoffnung in eine zunehmende Resistenz der Praxis, sich noch weiter auf neue Versuche einzulassen."

Die Gründe für das Scheitern lassen sich leichter beschreiben als beheben.

Innovationen fordern eine Veränderung der bestehenden Praxis und einen strukturellen Umbau des Systems. Nun weiß man, dass Systeme ein großes Beharrungsvermögen besitzen und das Ändern von Routinen für die Beteiligten immer mit Mehraufwand verbunden ist. Der Blick muss also auf die handelnden Akteure und die Struktur der Systeme gerichtet werden.

Eigentlich ist es vom Grundsatz her ganz klar: Ziele der Unterrichts- und Schulentwicklung können nur dann in gelebte Praxis überführt werden, wenn alle beteiligten Akteure dies mit gleicher Zielsetzung wollen und auch die Fähigkeit und Macht haben, dies umsetzen zu  können.

Grundstruktur der bestehenden Schulsystemse

Die Grundstruktur unseres Schulwesens wurde zu Beginn der Indusriellen Revolution angelegt und war fokussiert auf eine höhere Schulbilddung, um künfige Eliten in Staat und Gesllschaft des Kaiserreiches herauszubilden.

Die vorwiegend philologisch ausgebildeten Absolventen wurden über das lebenslange Berufsbeamtentum zur Loyalität gegenüber der Obrigkeit verpflichtet. Gelenkt wurde das Schulwesen durch Erlasse und Verodnungen der Obrigkeit in einer gestuften Verwaltungshierarchie. Die Befolgung der Anordnungen wurde durch die Treueverpflichtung,  das Berufsbeamtentum abgesichert. Kompetenzgebundene Verantwortlichkeit der Lehrkräfte sah das System nicht vor.  Freiheit bestand für die Lehrkräfte nur in der Methodenwahl, einem Sektor der beruflichen Tätigkeit, der kaum entwickelt war. Blieben Bildungsreserven ungenutzt, wurden  bestimmte Sozialschichten der Gesllsachaft benachteiligt, so störte das keine Menschenseele.

Die Weimarer Republik war zu schwach, um grundlegende, bildungspolitische Reformansätze umzusetzen. Das nationalsozialistische Deutschland führte anschließend eine Bildungspolitik, die an dem Rassenbegriff, am Eliteprinzip und am Führungsprinzip orientiert war und eine rigide Auslese mit einer ideologischen Einäugigkeit nach sich zog.

Nach 1945 drückten die Siegermächte in Ost- und West-Deutschland dem Schulsystem den gesellschaftspolitischen Stempel auf, um der gewünschten Vergesellschaftung bzw. Demokratiesierung den Weg zu bereiten. Die Grundstrukturen wurden kaum verändert.

Viele Lehrkräfte und Schulleitungen klagen in diesem Zusammenhang über die fehlende Unterstützung durch die dienstliche Aufsicht. 

Dieser Aspekt ist im Online-Verwaltunglexikon auf eine ganz lustige Art und Weise augegriffen worden, die ich Ihnen hier nicht vorenthalten möchte. Es werden dort am alphabetische "Management_Prinzipien" aufgelistet.
Quelle:http://www.olev.de/m/management_by.pdf (14.03.2012)

Vielleicht haben Sie auch ein wenig Spaß an dieser etwas bösen Übertreibung und finden trotzdem "Wahrheiten" zu Ihrer beruflichen Erfahrung:

A. Management by Babysitter
    Man kümmert sich um die Angelegenheit, wo jemand am 
    lautesten schreit.
B. Management by Champignon

    Die Mitarbeiter im Dunkeln lassen, gelegentlich mit Mist 
    bestreuen; und wenn sich ein heller Kopf zeigt, abschneiden.
C. Management by Moses

    Er führte sein Volk in die Wüste und hoffte auf ein Wunder.
D. Management by Alphüttli

    Hoch oben angesiedelt, aber furchtbar primitiv eingerichtet.
E. Management by Fallobst
    Wenn Entscheidungen reif sind, fallen sie von selbst.
F. Management by Sanduhr

    Alles durchlassen und warten bis eine Wende kommt.
G. Management by Efeu

    Kriechend über sich selbst hinauswachsen.
H. Management by Cowboy

    Alles abgrasen und dann weiterziehen.
I. Management by Helikopter

   Über allen schweben, von Zeit zu Zeit auf den Boden kommen,
   viel Staub aufwirbeln und dann wieder ab nach oben.
J. Management by Jeans

   An den wichtigsten Stellen sitzen die größten Nieten.
K. Management by Ping-Pong

   Jeden Vorgang solange zurück- oder weitergeben, bis er sich 
   von selbst erledigt.
L. Management by Darwin

   Mitarbeiter gegeneinander aufstacheln, Sieger befördern, 
   Verlierer abschieben.
M. Management by Robinson

    Alle warten auf Freitag. 
N. Management by Nilpferd
    Maul aufreißen und danach untertauchen.
O. Management by Crocodile

    Bis zum Hals im Dreck stecken - aber das Maul groß 
    aufreißen!
P. Management by Sausage

   Alles ist wurscht und jeder gibt seinen Senf dazu.
Q. Management by Känguru

    Große Sprünge bei leerem Beutel.
R. Management by Chromosom

    Führungsqualifikation ausschließlich durch Vererbung
S. Management by Harakiri

    Souveräne und dauernde Missachtung aller Gegebenheiten
T. Management by Kette
    Loch an Loch - aber es hält!
U. Management by Margerite

    Entscheidungsfindung nach dem System: ich soll, ich soll nicht...
V. Management by Partisan

    Selbst die engsten Mitarbeiter falsch informieren, damit die 
    eigenen Ziele nicht erkennbar werden.

W. Management by Herodes
     Intensiv nach dem geeigneten Nachfolger suchen und dann 
     feuern.
X. Management by Surprise

    Erst handeln, dann von den Folgen überraschen lassen.
Y. Management by Science-fiction

    Sofortige Abschaffung der Hierarchie!

 

Evaluation 

„Evaluation ist die systematische Untersuchung des Nutzens oder Wertes eines Gegenstandes. Solche Evaluationsgegenstände können z. B. Programme, Projekte, Produkte, Maßnahmen, Leistungen, Organisationen, Politik, Technologien oder Forschung sein. Die erzielten Ergebnisse, Schlussfolgerungen oder Empfehlungen müssen nachvollziehbar auf empirisch gewonnenen qualitativen und/oder quantitativen Daten beruhen.“ (Deutsche Gesellschaft für Evaluation, 2002, S. 13)

Dass die Qualitätsevaluation von Schulen zu einem aktuellen bildungspolitischen Thema geworden ist,  hängt damit zusammen, dass 'Ökonomisierung', 'Heterogenisierung' und 'Autonomisierung' in allen gesellschaftlichen Bereichen neue Herausforderungen auch an die Qualität des Lehrens und Lernens stellen.

'Ökonomisierung' ist eine Folge der leeren öffentlichen Haushalte. Das fehlende Geld hat  u.a. dazu geführt, dass die Leistungen der Schulträger verstärkt unter der ökonomischer Perspektive gesehen werden. Sie ersetzen daher detaillierte Mittelzuweisungen durch Global-Budgets, mit denen zwei Erwartungen verbunden sind:
1. Eine größere Effektivität: Weil an Ort und Stelle meist besser entschieden werden kann, was gebraucht wird.
2. Eine größere Flexibilität: Weil Abstriche von einem Globalbudget von Schulträgerseite leichter durchzusetzen sind als Einsparungen bei einer detaillierten Mittelzuweisung.
Beide Maßnahmen erfordern eine Rechtfertigung des Mitteleinsatzes gegenüber der Öffentlichkeit, die das Geld aufbringt. Damit entsteht die Notwendigkeit einer Qualitätsevaluation: Sind die Leistungen des Schulträgers an die Schulen das Geld wert, das für sie aufgewendet wird?

'Heterogenisierung' ist die Folge des gesellschaftlichen Wandels, der sich auch im Bildungswesen niederschlägt. 
Sie hat vor allem zwei Ursachen:
1. Das verbreitete Streben in der Bevölkerung nach statushöheren Abschlüssen der Kinder. 
2. Durch Integration aller Sozialschichten will man erreichen, dass das 'Humankapital 'unserer Gesellschaft stärker ausgeschöpft wird. Es sichert langfristig das Überleben unserer Gesellschaft und unseren Lebensstandard. 
Beide Tendenzen fördern die Bewegung von der Eliten- zur Massenbildung und haben
vor allem zwei Konsequenzen: 
Die absoluten Ausgaben für das Schulwesen steigen und die traditionellen 'Bildungsberechtigungen' verlieren an Wert. Beides erzeugt Widerstand, der vor allem mit dem Argument des Qualitätsverlust begründet wird.

'Autonomisierung' soll die Lösung der beiden oben angeführten Aspekte darstellen. 
Bisher kam der staatliche Einfluss auf die Schulen vor allem darin zum Ausdruck, dass man die pädagogische Praxis bis ins Detail zu regeln versuchte. Diese Vorgangsweise war auch praktikabel, solange die Verhältnisse an Schulen weitgehend vergleichbar waren. Wenn die Schullandschaft sich aber nun ausdifferenziert, passen viele Regelungen nicht mehr auf jede Schule. Die Schulaufsicht muss Problemlösekapazität an die Schulen selbst abgeben. Sie erhalten dazu in finanzieller, inhaltlicher (Lehrplan) und auch personeller Hinsicht die Möglichkeit, selbst die Entwicklungsinitiativen zu ergreifen. 
Die Schulen erhalten dadurch zwar Entscheidungsspielräume, gleichzeitig wird von ihnen aber auch verlangt, dass sie der Öffentlichkeit Rechenschaft darüber ablegen, wie sie mit den Spielräumen umgehen und was dabei herauskommt.

Selbstevaluation

Selbstevaluation: Die an der Schule Tätigen (das sind die Lehrerkräfte, könnten aber auch Schülerinnen und Schüler oder Eltern sein) initieren, verantworten die Evaluation und beschließen ihre Durchführung. Die Durchführung kann dann natürlich auch von außerschulischen Institutionen durchgeführt werden, ohne dass der Charakter der Selbstevaluation dadurch verloren geht. Die Schulgemeinde entscheidet dann später auch, was mit den Ergebnissen geschieht. 

Instrumente und Methoden der Selbstevaluation
Die häufigste Methode der Evaluation sind vielfach Fragebögen. Das ist verständlich, weil  sie klar messbare Ergebnisse liefern und schnell eine große Zahl von Personen erfassen können. Dabei wird aber leicht übersehen, dass es eine Reihe von anderen Instrumenten der Evaluation gibt. Ausschlaggebend für die Wahl eines Verfahrens sind dabei zum Beispiel 
- der Zweck der Evaluation
- die Anzahl der zu Befragenden
- der Zeitpunkt einer Evaluation (am Beginn oder gegen Ende eines Entwicklungsvorhabens).

Im wesentlichen unterscheidet man zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Quantitative oder geschlossene Methoden geben dem Beantworter einen enges Raster vor, in

dem er auf die Fragestellungen antworten kann. Qualitative oder offene Methoden sind freier in der Anlage und lassen viel Spielraum für die Antworten. der Befragten Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Methoden der Evaluation:

Quantitative (geschlossene) Methoden:
- standardisierte, geschlossene Fragebögen,
- Analyse der Schulstatistiken,
- Standardisierte Tests.

Qualitative (offene) Methoden:
- Gespräche und Interviews, die aufgezeichnet und ausgewertet werden,
- Gruppendiskussionen,
- offene Fragebögen,
- Fotodokumentationen, Videofilme,
- Unterrichtsbeobachtung,
- Auswertung von Schülerarbeiten: Schularbeiten, eigens produzierte Texte, 
- Auswertung von Schuldokumenten: Jahresberichte, Festschriften,
- (Forschungs)tagebücher
- Gegenseitige Unterrichtsbesuche.

Fremdevaluation

Fremdevaluation: Die Evaluation wird durch externe Personen oder Instanzen (zum Beispiel die Schulaufsicht) initiiert und durchgeführt. Gegenstand kann eine Einzelschule oder auch das ganze Schulsystem sein – zum Beispiel alle Schulen eines Schultyps in einer Region.  Geht es um die Evaluation auf einer überschulischen Ebene, spricht man auch von Metaevaluation, auf der Ebene des gesamten Schulsystems von System Monitoring.

Grundzüge einer zukunftsorientierten Schul- und Unterrichts-Struktur

 

Die Gestaltung einer auf die Zukunft ausgerichteten Unterrichts- und Schulstruktur sollte sich an folgenden Prämissen orientieren:

  • Schulisches Lernen und Lehren ist eine Form des institutionalisierten, formalen Lernens und bleibt geprägt von der Präsenzlehre.
  • Lehr-/Lernprozesse finden ganz überwiegend im sozialen Miteinander der Beteiligten statt.
  • Jeder jungen Mensch muss die Chance haben, seine individuellen Potenziale zu entfalten. Diese Chance muss die Gesellschaft ihm nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt bieten, sondern immer wieder und auf neuen Wegen.
  • Individuelles Fördern und Fordern braucht und nutzt vielfältige Hilfen und Hilfsmittel. Fördern und fordern vollziehen sich auf individuell ganz unterschiedlichen Wegen.
  • Entwicklungs- und Lebenschancen junger Menschen zu fördern, Humankaptital als gesellschaftliche Grundlage auszubilden, das sind die vordringlichen Ziele von schulischem Lehren und Lernen im Unterricht.
  • Dort, wo Begabungen und der Lernwille erkennbar sind, der familiäre Hintergrund zur Förderung nicht in der Lage ist, muss ein schulisches Angebot bereitstehen.
  • Lernen und Lehren sind lebensbegleitende Prozesse, die nur teilweise an Ort und Zeit und Institutionen gebunden sind. Deshalb hat das schulische Lehren und Lernen eine Schlüsselrolle bei der Ausprägung von Lernhaltungen. Die Institution Schule muss auf das Lernen ohne Schule vorbereiten.
  • Schulische Angebote für Lernen und Lehren müssen vielformatig, vielfältig und  flexibel gestaltbar sein und verschiedene Zeitformate umfassen (Halbtagsschule, Ganztagsschule, Halbtagsschule plus zusätzlicher Wahlangebote).
  • Lehren und Lernen sind keine "vermittelten Austauschprozesse" von Wissen und Können,  bei denen eine Lehrkraft etwas an andere weitergibt, sondern Gestaltungs- und Konstruktionsprozesse, die von der Individualität aller Beteiligten geprägt werden.
  • Individuelle Förderung braucht viele Helfer, viele Werkzeuge und viele Gelegenheiten. 

    Eine Lehrkraft pro Lerngruppe für eine 45 minütige Zeiteinheit, das sind keine brauchbaren "Verrechnungseinheiten" mit der man die gesteckten Ziele erreichen kann. Das ist ein Unterrichtsmodell, das sich an industriellen Produktionsabläufen orientiert. 
    (Homogenisiertes Ausgangsmaterial von möglichst gleicher Qualität soll in einem industriell getakteten Prozess eine hohe Produkt-Stückzahl von gleicher Qualität hervorbringen.)

Neue Rhythmisierung von Unterricht in stärker individualisierten Lern- Lehrprozessen

 

Rhythmisierung ist ein zentraler Begriff im Zusammenhang mit dem geforderten Paradigmenwechsel in der Unterrichtsorganisation.

Wenn Lehren und Lernen von der Individualität der Lerner geprägt sein soll, dann muss die Unterrichtsorganisation so strukturiert sein, dass der individuellen Aufnahmefähigkeit und dem Lerntempo der Schüler Rechnung getragen werden kann. Die bisher üblichen 45-Minuten Studeneinheiten taugen hierzu nicht. 

Die vorhandenen Stundentafeln, die sich ja durchaus bewährt haben, müssen "umgebrochen" werden in andere Zeitfenster, die neue, offenere Unterrichtsmethoden besser unterstützen. 
Ein Umstieg auf 60-Minuten- oder 70-Minuteneinheiten, der zur Zeit in vielen Schulen zu beobachten ist, zeigt, dass ein Umdenken auch hier eingesetzt hat, wenngleich oft aus anderen Motiven gespeist. 
Dieser  erste Ansatzpunkt einer grundlegenden Umstrukturierung ist leicht von jeder Schulkonferenz in Eigenregie umzusetzen und bedarf keiner Verfügung einer Landesbehörde. Leider machen noch zu wenig Schulen von dieser Möglichkeit Gebrauch. 
Sie schrecken wohl auch vor den damit verbundenen Veränderungen der bisherigen Praxis in der gewohnten Unterrichtsgestaltung zurück. Mit einem großen Widerstandswillen in den Lehrerkollegien wäre zu rechnen, denn Routinen zu verändern kosten viel Kraft und Zeit.  Weiterhin träte ein massiver Fortbildungsbedarf zutage, der wiederum Kraft und Zeit kosten würde.

Und noch ein ein weiteres Problem gilt es zu lösen. 
Aus Untersuchungen weiß man, dass die leistungssärkeren Lerner von offeneren  Unterrichtsformen stärker profitieren als die leistungsschwächeren Lerner. Folglich müsste man verstärkt das Augenmerk auf diejenigen Lerner richten, die mehr Anleitung und Unterstützung im Lernprozess brauchen. 
Um die vorhandenen Begabungen der Lerner individuell  zu erfassen und zu fördern braucht man weiteres Personal. Das müssen keine voll ausgebildeten Lehrkräfte sein, sondern hier könnten Fachkräfte eingesetzt werden, die Lernprozesse der Lerner beobachten, analysieren und dann entsprechend fördern können. 
Die Notwendigkeit, bei der Personalausstattung den Hebel anzusetzen, wird in der öffentlichen Diskussion weitegehend ausgeblendet, weil das Geld dazu fehlt oder man nicht bereit ist, es dafür auszugeben. Die gesamte öffentliche Diskussion dreht sich meist nur um einen geforderten Methodenwechsel. 
Das aber suggeriert der Öffentlichkeit, dass es nur am "mangelnden Willen" der Lehrkräfte liegt, wenn die Schule nicht die Erfolge bringt, die man von ihr erwartet. Damit schiebt man den "Schwarze Peter" den Lehrkräften zu. Sie aber sind einer Schulorganisation ausgeliefert, die ihre Wurzeln im beginnenden Industriezeitalter hat. 

Es muss doch nachdenklich machen, dass alle Schulinspektionen fast in allen Schulen aller Schulformen der Sekundarstufe I die gleichen Problemfelder aufdecken. 

Einem Ertrinkenden hilft der Befehl zum Schwimmen nicht, auch wenn er mehrfach und lautstark an den Ertrinkenden gerichtet wird.

Angesichts dieser Situation droht unsere Schullandschaft in der Bundesrepublik weiter auszufasern und die Chancengleichheit für die nachfolgende Generation noch weiter deutlich zu verschlechtern.

Rainer Geißler schreibt in seinem Artikel zum Thema "Bildungschancen und soziale Herkunft", das im April 2006 im Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit erschienen ist:

"Auch wenn das mehrgliedrige Schulsystem im öffentlichen Diskurs in Deutschland
einer unantastbaren „heiligen Kuh“ gleicht, fordert PISA zu einem erneuten Nachdenken
über die Grundstrukturen des deutschen Bildungssystems heraus. Es ist
allerdings unrealistisch, mit einer Beseitigung der Mehrgliedrigkeit in absehbarer Zeit zu rechnen. Daher ist es wichtig, wenigstens die Nachteile der äußeren Niveauabstufungen
durch die folgenden Maßnahmen zu minimieren:

  •  durch eine größere Durchlässigkeit des hierarchischen Schulsystems „nach oben“, um die sozial selektiven frühen Entscheidungen für die Bildungswegerevidierbarer zu machen;
  •  durch ein Zurückfahren der Klassenwiederholungen auf Extremfälle, d.h. durch einen Abbau des Abschiebemechanismus des Sitzenbleibens, der nicht nur sozial selektiv, sondern darüber hinaus auch teuer und wenig effizient ist;
  •  durch einen starken Ausbau der Kultur des Förderns, z.B. einer stärkeren Orientierung von Reformen sowie des Lehrerverhaltens und der Lehrer-Eltern-Kooperation am Prinzip „Fördern statt Auslesen/Abschieben“. Zusätzliche Hilfen für Problemkinder brauchen zusätzliches Personal und kosten Geld. Daher wird eine wirkliche Verstärkung der Kultur des Förderns ohne zusätzliche finanzielle Investitionen in die Bildung kaum möglich sein."

Eltern, vor allem aus der bildungsorientierten Mittelschicht, fokussieren ihr Interesse auf die Entwicklung und die Entwicklungschancen ihre Kinder, das ist ganz natürlich und auch gut so. Sie werden aus dem gesamten Schulangebot ihrer Region dasjenige heraussuchen, das ihre Kinder aus ihrer Perspektive optimal fördern kann.

Hier liegen die Chancen von Privatschulen, die unabhängig vom Budget der Öffentlichen Hand ihr schulisches Angebot ausgestalten können.

Lehrerfortbildung

Fachlich fundiertes Wissen und pädagogische Kompetenzen sind die Grundlagen dafür, dass Lehrkräfte Lehr- / Lernkontexte zielführend konzipieren und gestalten können, die fachwissenschaftlich abgesichert und langfristig angelegt sind sowie das Entwicklungspotenzial und das Entwicklungsniveau der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen. Zugleich nehmen Lehrkräfte als Erziehungspersonen erheblich Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Der verantwortliche Umgang mit Heranwachsenden erfordert ein Berufsethos, das Wertmaßstäbe für die Ausprägung einer entsprechenden pädagogischen Haltung beinhaltet. Dabei entwickeln Lehrkräfte ein Verständnis von beruflichen Anforderungen, Handlungen und Funktionszusammenhängen, reflektieren das eigene berufliches Handeln und sorgen durch Fort- und Weiterbildung für den Anschluss an wissenschaftliche Erkenntnisfortschritte.

Vergleicht man den obigen Text mit der gelebten Wirklichkeit an vielen Schulen im Lande, so kommen Zweifel auf, ob dieses Leitbild der professionellen Persönlichkeitsentwicklung auch bei den meisten Lehrkräften angekommen ist.

Sie aber deshalb als  träge, faul und unwillig zu brandmarken, würde der Situation absolut nicht gerecht. Die meisten Lehrkräfte wissen um die Bedeutung der permanenten Fortbildung als Basis einer anerkannten, guten Profession.

Im §57 Absatz 3 des NRW Schulgesetzes von 2006 heißt es:

"Lehrerinnen und Lehrer sind verpflichtet, sich zur Erhaltung und weiteren Entwicklung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten selbst fortzubilden und an dienstlichen Fortbildungsmaßnahmen auch in der unterrichtsfreien Zeit teilzunehmen. Die Genehmigung von Fortbildungen während der Unterrichtszeit setzt in der Regel voraus, dass eine Vertretung gesichert ist oder der Unterricht vorgezogen oder nachgeholt oder Unterrichtsausfall auf andere Weise vermieden wird."

Wenn Lehrkräfte diese Formulierungen nach einem anstrengenden Unterrichtstag ohne gesellschaftliche Anerkennung lesen, kann man sich vielleicht vorstellen, weshalb viele Lehrkräfte Fortbildungsangebote kaum in Anspruch nehmen.

Hier sind als wesentliche Gründe zu nennen:

- Für Fortbildungen hat das gegenwärtige Arbeitszeit-Modell mit der Fixierung auf die erteilten Unterrichtsstunden keinen "Raum" geschaffen. Fortbildung wird als Verpflichtung formuliert und in die knappe Erholungszeit verwiesen. So, als ginge es hier um die persönliche Bereicherung der Lehrkräfte.

- Das an die Zahl der erteilten Unterrichtsstunden gekoppelte Arbeitszeit-Modell der Lehrkräfte basiert auf der irrigen Annahme, dass Wissen auf Vorrat zu erwerben sei und ein tragfähiges Konzept zur Besserung der Unterrichtsqualität darstelle. Deshalb wurden "Unterrichten" und "Sich fortbilden" als getrennte Bereiche organisiert.

- Wenn Fortbildung nur außerhalb der vorgeschriebenen Unterrichtsstunden möglich ist, wird Fortbildung für die Lehrkräfte als Maßnahme "zur eigenen persönlichen Bereicherung" abgestempelt und wird damit als Komponente der Systementwicklung nicht nutzbar.

Lehrerinnen und Lehrer arbeiten in einem sehr komplexen Berufsfeld. Das bedeutet, dass viele Fragestellungen bzw. Probleme aus der Schulpraxis fallspezifisch sind und nicht nach einem allgemeinen, theoretisch begründeten "Wenn- Dann- Sonst - Schema" gelöst werden können. Diese an sich allseits bekannte Erkenntnis verweist die Lehrerfortbildung deutlich auf den Mikrokosmos der einzelnen Unterrichtsstunde. In diesen konkreten Situationen brauchen Lehrkräfte Unterstützung. Wenn sie die Transformation von "externen Erfahrungen , von Gezeigtem auf die eigene Situation leisten sollen, erleben sie häufig nicht den gewünschten Erfolg und resignieren leicht. Damit wird aber zugleich deutlich, dass eine Trennung von "Unterrichten" und "Sich fortbilden" nicht zwangsläufig zum gewünschten Ausbau der Professionalität beitragen kann. 

Wir brauchen Fortbildungsmodelle, die dieser Tatsache gerecht werden können. "Training On The Job", wäre sicher ein erfolgversprechenderes Modell. Dieses Prinzip ist leider nur kein Strukturelement der gegenwärtigen Lehrerfortbildung. Unterstützung im Kernprozess der Profession ( im Prozess des Unterrichtens und Erziehens) könnte helfen, die Lehrkompetenzen nachhaltig zu verbessern.

 

   
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